wir pflegen e.V. beurteilt die Ergebnisse der Sondierungen von CDU, CSU und SPD als inakzeptabel für pflegende Angehörige – offene Briefe an die Parteien

Der Verein wir pflegen e.V. als Interessenvertretung pflegenden Angehörigen beurteilt die Ergebnisse der Sondierungen von CDU, CSU und SPD als inakzeptabel für pflegende Angehörige.
Vorstandsmitglieder von „wir pflegen“ und „wir pflegen NRW“ haben zwei offene Briefe an die verhandelnden Parteien geschrieben. Sie gingen an die Präsidien von CDU, SPD und CSU, die Mitglieder der Sondierungsteams “Pflege” und die Parteivorstände.

Die Dialog-Offensive Pflege erklärt sich solidarisch und veröffentlicht daher den Briefinhalt: (Weiter unten befindet sich der Text aus den Sondierungsergebnissen zu den Themen Gesundheit und Pflege.)

In den Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU und SPD wurde die Grundlage für eine weitere große Koalition gelegt. Das Ergebnis der Sondierung stößt unter pflegenden Angehörigen jedoch auf erheblichen Widerstand, da die größte und wichtigste Säule des deutschen Pflegesystems im Abschlusspapier keine nennenswerte Erwähnung findet.

Stattdessen richten sich die vereinbarten Maßnahmen fast ausschließlich auf Verbesserungen im Bereich der ambulanten und stationären Pflege. Auch diese Maßnahmen sind dringend geboten. Doch rund 73 Prozent der Pflegbedürftigen werden von Angehörigen im häuslichen Umfeld versorgt – größtenteils von Frauen – wodurch unser Staat und die Gesellschaft Milliardenbeträge einsparen. Oft gehen mit diesem Einsatz erhebliche Einkommenseinbußen, erhöhtes Armutsrisiko, soziale Ausgrenzung und extreme Überlastung einher. Dies ist in Deutschland nicht das Schicksal von Einzelfällen, sondern trifft eine breite Masse der pflegenden Angehörigen.

Pflegende Angehörige sind nicht als günstiges Instrument zur Versorgung pflegebedürftiger Menschen zu sehen. Es sind Menschen mit eigenen Zielen und Wünschen und dem berechtigten Anspruch auf ein Leben in Würde. Es ist daher zwingend erforderlich, die pflegenden Angehörigen in den nun möglichen Koalitionsverhandlungen zu einem wesentlichen Bestandteil des Sofortprogramms zu machen. Zentral ist:

– die soziale Absicherung von pflegenden Angehörigen umfassend zu verbessern. Insbesondere sind die Beiträge zur Rentenversicherung aufzustocken, um pflegebedingte Altersarmut wirksam zu bekämpfen. Hier reicht die vorgesehene Grundrente nicht aus.

– ein effektives Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit zu garantieren. Die vorgesehenen Einschränkungen zur befristeten Teilzeit werden den potenziellen Kreis der Nutzerinnen und Nutzer deutlich einschränken und damit auch viele pflegende Angehörige von der Leistung ausschließen. Unter anderem muss die Regelung auch für Unternehmen mit weniger als 46 Mitarbeitende gelten.

Darüber hinaus dürfen Menschen, die Pflegeverantwortung in der Familie tragen oder zukünftig übernehmen, nicht im ALG-II Bezug landen. Denn für die Betroffenen bedeutet dies erhebliche bürokratische und persönliche Belastungen. Daher sind die Sätze zum Pflegegeld entsprechend anzupassen und weitere Maßnahmen zu ergreifen.

Als Antwort auf die von wir pflegen entwickelten Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl hat die Union folgende Aussage formuliert: „Wer seine nahen Angehörigen pflegt, muss die beste Unterstützung bekommen.“ Dieser Einschätzung stimmen wir voll und ganz zu!

Sollte es daher zu Koalitionsverhandlungen mit der SPD kommen, so muss dies eine Verbesserung der sozialrechtlichen Leistungen für pflegende Angehörige nach sich ziehen. Wir stehen Ihnen als Gesprächspartner dafür bereit.

Mit den besten Grüßen

Sebastian Fischer                            Christian Pälmke

(Vorstand wir pflegen e.V.) (Vorstand wir pflegen NRW e.V.)

Auszug aus den Sondierungsergebnissen

  1. Gesundheit

Kranke, Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung müssen auf die Solidarität der Gesellschaft vertrauen können. Wir werden sicherstellen, dass alle auch zukünftig eine gute, flächendeckende medizinische und pflegerische Versorgung von Beginn bis Ende ihres Lebens erhalten, unabhängig von ihrem Einkommen und Wohnort.

Die Zusammenarbeit und Vernetzung im Gesundheitswesen müssen ausgebaut und verstärkt werden. Zur Erreichung einer sektorenübergreifenden Versorgung wollen wir nachhaltige Schritte einleiten, insbesondere bei der Notfallversorgung. Zu einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung gehört für uns neben einer gut erreichbaren ärztlichen Versorgung auch eine wohnortnahe Geburtshilfe, Hebammen und Apotheken vor Ort. Darüber hinaus sind deutlich erhöhte Investitionen in Krankenhäuser für Umstrukturierungen, neue Technologien und Digitalisierung notwendig.

Wir wollen die schrittweise Einführung von kostendeckenden Beiträgen zur Gesetzlichen Krankenversicherung aus Steuermitteln für die Bezieher von ALG II.

Wir werden die Parität bei den Beiträgen zur Gesetzlichen Krankenversicherung wiederherstellen.

Die Beiträge zur Krankenversicherung sollen künftig wieder in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten geleistet werden.

III. Pflege

Wir wollen die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege sofort und spürbar verbessern. Es werden Sofortmaßnahmen für eine bessere Personalausstattung in der Altenpflege und im Krankenhausbereich ergriffen und dafür zusätzliche Stellen zielgerichtet gefördert.

Wir wollen die Bezahlung in der Altenpflege nach Tarif stärken. Gemeinsam mit den Tarifpartnern wollen wir dafür sorgen, dass Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckendzur Anwendung kommen.

Im Krankenhausbereich streben wir eine vollständige Refinanzierung von Tarifsteigerungen an, verbunden mit der Nachweispflicht, dass dies auch tatsächlich bei den Beschäftigten ankommt.

Wir wollen 8 000 neue Fachkraftstellen im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlungspflege in Pflegeeinrichtungen schaffen.

Dem Sofortprogramm müssen weitere Schritte folgen. Deshalb entwickeln wir verbindliche Personalbemessungsinstrumente, auch im Hinblick auf die Pflegesituationin der Nacht.

Dieses Programm umfasst unter anderem eine Ausbildungsoffensive, Anreize für eine bessere Rückkehr von Teil- in Vollzeit, ein Wiedereinstiegsprogramm, eine bessere Gesundheitsvorsorge für die Beschäftigten sowie eine Weiterqualifizierung von Pflegehelfern zu Pflegefachkräften.

Wir wollen in einer „Konzertierten Aktion Pflege“ eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung der Situation in der Altenpflege. Dazu gehören insbesondere Angebote in der Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie in der Tages- und Nachtpflege, die besonders pflegende Angehörige unterstützen. Deren Situation wollen wir auch durch einen besseren Zugang zu Rehabilitationsleistungen verbessern.

Den Auftrag an Kassen und Krankenhäuser, Personaluntergrenzen für pflegeintensive Bereiche festzulegen, werden wir dergestalt erweitern, dass in Krankenhäusern derartige Untergrenzen für alle bettenführenden Abteilungen eingeführt werden. Wir wollen das Schulgeld für die Ausbildung in den Heilberufen abschaffen, so wie es in den Pflegeberufen bereits beschlossen wurde.

Auf das Einkommen der Kinder von pflegebedürftigen Eltern soll künftig erst ab einem Einkommen in Höhe von 100.000 Euro im Jahr zurückgegriffen werden